Studentischer Protest in Stadt und Gesellschaft

Die Studierendenschaft der Uni Bremen ist schon immer eng mit der Stadtgesellschaft verwoben gewesen. Anders als andere Universitäten, die auf eine lange Tradition vorrangig als Lehranstalten zurückblicken und z.T. auch tradierte Methoden und Denkmuster voran trugen, wurde die Universität Bremen mit einem dediziert reformistischen Ansatz gegründet. Ihr erster Rektor war ein Jungsozialist und sie war schon damals als rote Kaderschmiede bekannt. So gab es immer wieder Proteste, Kämpfe und Informationskampagnen aus der Studierendenschaft, die entweder eigenmächtig die Stadtpolitik beeinflusst haben oder ein signifikanter Teil anderer Bewegungen waren.

Das Scheitern der Mozarttrasse (1973)

Aus den städtebaulichen Gedanken der Nachkriegsjahre entstand beim Senat der Gedanke, eine Straßentrasse (ursprünglich auch mit U-Bahn), parallel zur heutigen Mozartstraße direkt durch Ostertor und den Osterdeich zu einer neuen Weserbrücke zu errichten. Den großen Plänen der Stadtplaner:innen standen schnell vor allem junge Bremer:innen, inklusive vieler Studierender im Weg. Das damals schon beliebte Viertel und der Erholungsbereich an der Weser am Osterdeich sahen sie in Gefahr. Vor allem junge Menschen, viele politisiert durch die 68er-Bewegung, schlossen sich Protesten an. In der regierenden SPD mobilisierten vor allem die Jungsozialist:innen vor Ort gegen die Pläne. Die Stimmung in der Bevölkerung war gegen das Projekt gekippt. Als am 4. Dezember 1973 in der zweiten Abstimmung die SPD-Bürgerschaftsfraktion bei zehn Enthaltungen geschlossen gegen das Projekt stimmte, wurde ausgiebig gefeiert: hier hatte der Protest der Studierenden einen der bis heute beliebtesten Orte der Bremer Altstadt vor der Opferung an das Konzept der autogerechten Stadt gerettet.

  • Quelle: AStA der Uni Bremen (1980)

Die Demonstrationen gegen das öffentliche Gelöbnis im Weserstadion (06.05.1980)

Die Bundeswehr war noch jung, und seit inzwischen 25 Jahren Mitglied der NATO. Zum Jahrestag des Beitritts sollte in Bremen – mit der Unterstützung des damaligen Bürgermeisters Koschnick – das erste öffentliche Gelöbnis der Wehrpflichtigen der Bundeswehr im Weserstadion stattfinden. So hatte es sich nicht zuletzt Bundespräsident Karl Carstens gewünscht – ein besonderes Ereignis für seine Heimatstadt, dessen Einstellung zum Militär er in seiner Zeit in Straßburg und Bonn augenscheinlich vergessen hatte. 

Breite Bündnisse riefen zum Protest gegen das Gelöbnis auf, vorne an der AStA der Uni, die Hochschullisten, der Landesjugendring und die Parteijugenden. Sie verabschiedeten Resolutionen, verteilten rege Flugblätter rund um den Roland. Für den 06. Mai um 14 Uhr berief der AStA eine Vollversammlung der Studierenden zur öffentlichen Vereidigung im Weserstadion ein.  Ihre Kritik war am “Säbelrasseln”, der öffentlichen Zurschaustellung des Heers und der Rückbesinnung vieler Elemente der Veranstaltung an den angeblichen Glanz und Gloria Preußens in Zeiten die etwas weniger Militarismus gut hätten vertragen können: es war nur wenige Monate seit dem NATO-Doppelbeschluss und des Einmarsches der Sowjetunion in Afghanistan vergangen. So kam es dass sich viele – vor allem junge Menschen – zur friedlichen Gegendemonstration versammelten. Uwe Parpart, ehemaliger Vorsitzender Jungsozialisten, sagte in einem Fernsehinterview, dass es sich sich um “alle relevanten Bremer Jugendverbände einmal, dann um große Teile der Bremer Kirchen […], und um viele andere Einzelpersonen, Teile der Gewerkschaften, die Gewerkschaftsjugend, also insgesamt um eine breite Bewegung hier in Bremen“ handelt. Bei 2000 erwarteten Demonstrierenden kamen über 10000. Es war offenkundig: das Klima in Bremen war gegen den Festakt. So trifft die wenige Tage später im Spiegel erschienene Überschrift gut, was den Grund der weiteren Vorkommnisse des Tages angeht: Bundesregierung, Bundeswehr und Bürgermeister hatten die “Signale überhört”. 

Ab dem Abend kam es zu Straßenkämpfen zwischen einer kleinen Gruppe Autonomen und der Polizei. Es flogen Steine, Autos und Busse von Bundeswehr und Polizei werden in Brand gesetzt, es wird mit Pyrotechnik und Leuchtkugeln auf Polizeihubschrauber geschossen und versucht das Stadion zu stürmen. Carstens, Koschnick und Verteidigungsminister Apel sowie die Generalität wurden per Hubschrauber aus dem Stadion chauffiert und ließen die knapp 1200 Wehrpflichtigen ausweglos zurück. Die Polizei antwortet auf die vermeidbare Gewalt mit mehr Gewalt: Wasserwerfer mit CS-Gas und wahlloses Einprügeln auf jede:n die:der zur falschen Zeit am falschen Ort war und nicht schnell genug fliehen konnte. Selbst gegen friedliche Demonstrierende die versuchten durch eine Menschenkette Polizei und Militante zu trennen. Als die Demonstrierenden sich Nachts zurückziehen wollten, schlug die Polizei – inzwischen durch die Amtshilfe aus Niedersachsen verstärkt – erneut zu. Das Fazit des Tages: eine, in den Worten von Mitbegründer der Bundeswehr Graf Baudissin “pompöse und anonyme Kollektivschaustellung” mehr, 257 verletzte Polizist:innen, 5 verletzte Soldat:innen, und 50 behandlungspflichtige Demonstrierende, wobei die Dunkelziffer bei der letzten Gruppe deutlich höher geschätzt wird.

Der AStA bezeichnete in einer Rundschrift (asta-aktuell vom 08.05.1980) die Demonstration als “große[n] Erfolg der Bremer Friedensbewegung” sowie als Ausdruck für die “breite Ablehnung von Militarisierung und Kalter-Kriegs-Politik”. Er kritisiert das “nachdenken” in der Politik über den Verbot solcher Demos oder die Legalisierung des Schusswaffengebrauchs durch die Polizei auf solchen Veranstaltungen. Kritisiert wurden aber auch die Handlungen der “ca 150 – zum Teil angereisten – Anarchisten”, die der CDU und der bürgerlichen Presse den Vorwand für solche Überlegungen geliefert hatten. Abschließend wird zu weiteren Demonstrationen der Friedensbewegung in Hannover, München und Mannheim am 10.05. aufgerufen.

Pazifistische Bewegungen der Studierendenschaft

Die ersten zwanzig Jahre nach der Deutschen Wiedervereinigung waren weltpolitisch geprägt von den Folgen des ersten und zweiten Irakkrieges. Dies hatte bundes- und weltweite Proteste zur Folge, nicht zuletzt weil während Deutschland zwar im ersten Irakkrieg 1991 keine Soldat:innen zur Verfügung stellte, aber 18 Milliarden D-Mark an finanziellen Beteiligungen (10 Milliarden davon an die USA) aufbrachte um den Krieg zu kofinanzieren. Vor allem junge Menschen, Schüler:innen, Jugendliche und Studierende organisierten. 1991 schwänzten Schüler:innen (und auch 2003, zum zweiten Irakkrieg) die Schule und nahmen ihre Lehrenden mit zu Demonstrationen und Zivildienstleistende streikten während Studierende Ausnahmezustände ausrufen. Dabei benutzten sie oft auch großangelegte Verkehrsblockaden um z.B. den Transport von Rüstungsgütern blockieren.

Auch in Bremen und Umgebung kam es zu solchen Protesten. 1991 wurde eine Friedensfahrradtour von Oldenburg über Bremen nach Bonn abgehalten und nicht nur der Bahnhofsvorplatz blockiert, sondern auch die Bremer Rüstungsmanufaktur MBB um ein Zeichen gegen die Herstellung und Transport von Rüstungsgütern in und über Bremen zu setzten. Spezifische Beispiele von Aktionen gegen die Kriege im Irak durch den AStA und den Sozialistischen Hochschulbund waren das Drucken und die Verteilung von Informationsheften mit Hintergrundinformationen zu den beteiligten Staaten und Personen sowie dem Kontext der geopolitischen Lage.

Protest gegen Ende des Kulturflohmarktes (1993)

Der AStA der Uni protestierte gegen die geplante Schließung des allsonntagigen Kulturflohmarktes auf der Bremer Bürgerweide. Laut ihrer eigenen Aussage sei der Flohmarkt als Treffpunkt verschiedener Milieus ein besonderer Teil Bremischer Kultur. Das der Flohmarkt, unter anderem mit dem Argument der “Anwesenheit von Nicht-Deutschen” nun geschlossen sollte nannte der AStA einen “empörenden Skandal”. Vor allem wegen der wirtschaftlichen Wichtigkeit des Flohmarktes als billiger Kaufort oder Weg des Zuverdienst für Geflüchtete mit wenig Einkommen oder andere Personen mit schlechter sozialer Lage nannte der AStA die geplanten Schließung einen “Akt des alltäglichen Rassismus”. Auch kritisierte der AStA den weiteren Ausbau der ‘Glitzerarchitektur’ und weitere und produzierte mit der Initiative zum Erhalt des Flohmarkts zusammen eine Plakatkampagne.

Antirassistische Aktionen und Geflüchtetenhilfe

2011 veranstalteten die ASten der Hochschulen und der Universität das erste Festival contre le racisme in Bremen. Im Rahmen dieses bundesweit stattfindenden Festivals wurden Workshops, Seminare, Aufführungen und Diskussionen gemeinsam mit dem Studierendenwerk, dem DGB und dem Flüchtlingsrat Bremen organisiert. Der thematische Schwerpunkt lag bei dem auf der europäischen Geflüchtetenpolitik.

Als 2015 genau dieses Thema wieder relevant wurde, wurde an der Uni Bremen die Refugee Law Clinic aufgebaut in der Studierende darin ausgebildet wurden, Geflüchteten Rechtsberatung zu erteilen. Im selben Jahr organisierte der AStA mehrere weitere Demonstrationen für die Rechte von Geflüchteten mit. Eine der Demonstrationen entstand zusammen mit mehreren anderen politischen Initiativen und Geflüchtetenvertretungen und forderte bessere Leistungen sowie mehr Wohnraum für Geflüchtete, Forderungen, denen sich rund 2000 Menschen auf den Straßen Bremens anschlossen. Auf einer weiteren Demo mit der Gesamtschüler:innenvertretung erschienen ca. 400-450 Teilnehmende und blockierten für 45 Minuten die Wilhelm-Kaisen-Brücke sowie weitere Teile der Innenstadt. Das Ziel war auch hier wieder ein Zeichen gegen rechte Hetze, Grenzen zwischen Staaten und innerhalb von Gesellschaften und die Diskriminierung von Geflüchteten zu setzen.