Die Qual der Wahl – die Wahlhistorie von AStA & Studierendenrat
Als die Universität Bremen im Oktober 1971 startete, waren gerade einmal 459 Studierende immatrikuliert. Die Reformuniversität und das progressive „Bremer Modell“ waren trotzdem bundesweit in der Presse und waren Vorbild für viele wichtige Säulen, die heute die Hochschullandschaft tragen. Aus studentischer Perspektive besonders wichtig: Eine weitreichende Mitbestimmung. Die Drittelparität, also die Besetzung aller Gremien zu gleichen Anteilen durch Studierende, Lehrende und Mitarbeiter:innen der Universität (10 Personen je Statusgruppe im Akademischen Senat), wurde erst durch ein skandalöses Verfassungsgerichtsurteil gekippt.
Wichtigste Säule und Kern der studentischen Mitbestimmung war und ist dabei die Verfasste Studierendenschaft mit ihren Organen – Allgemeiner Studierendenausschuss (AStA) und Studierendenrat (SR). Der SR wird jährlich von allen Studierenden gewählt. Die gewählten Listen bilden in der Regel untereinander Koalitionen, um mit einer Mehrheit den AStA stellen zu können.
Ein zeitlicher Überblick
Ab Mitte der 1970er-Jahre bildeten der Sozialistische Hochschulbund (SHB), der Marxistische Studentenbund Spartakus (MSB) und die Jungsozialistische Hochschulgruppe (Jusos) [alle Namen entsprechen der eigenen Schreibweise] gemeinsam die AStA-Koalition und trugen maßgeblich zum Ruf der Bremer Universität als Rote Kaderschmiede bei. Bei allen ideologischen Unterschieden einte sie das Ziel, ein Sprachrohr der Studierenden an der Seite der Arbeiter:innenbewegung und der Gewerkschaften zu sein.
Im Wintersemester 82/83 kam die Anti-AKW-Bewegung auch im Studierendenrat an und die Alternative AStA Liste (AAL) erreichte eine absolute Mehrheit. Es folgte eine Neuausrichtung des AStAs, hin auf die neuen links-alternativen Bewegungen. Der AStA, der bis 1988 von verschiedenen Gruppen zusammen mit AAL getragen wurde, stand deshalb auch immer wieder in der Kritik, Gelder der Studierendenschaft für außeruniversitäre Gruppen zu verwenden. Bei einem Schuldenstand von 150.000 DM kündigte die beteiligte Juso-Hochschulgruppe die Koalition mit AAL und Feministischer Liste (FL) auf.
Im Folgenden gründete sich erstmal ein Bündnis unter dem Namen AStA für Alle (AfA). Gemeinsam mit Jusos, MSB, SHB und der Internationalen StudentInnenliste stellten sie für zwei Jahre den AStA.
Im Februar 1990 bildete sich um die FL der selbst bezeichnete Frauenasta – mit ausschließlich weiblichen Personen im Vorstand und Referaten. Dieser scheiterte noch im selben Jahr an inneren Querelen.
Die frühen 90er-Jahre waren geprägt von häufig wechselnden AStA-Koalitionen, begünstigt durch die zunehmende Zahl an Listen im SR – so verteilten sich die 25 Sitze auf 13 Listen (WiSe 91/92). Im Vergleich dazu teilten sich beispielsweise 1975 und 1982 die Plätze jeweils fünf Listen. Die Koalitionen waren dabei Zweckbündnisse ohne erkennbare politische Gemeinsamkeiten. So wurde etwa im SoSe 1992 ein AStA mit AfA, Multi, Zorro, SL, Jusos und GAL begründet – nach eigenem Bekunden ein „Verteilungs-AStA, in dem keine gemeinsame politische Schwerpunktsetzung erfolgt ist“ (AfA-Zeitung 22.04.1992). Als großes Projekt schaffte es diese Koalition jedoch das Semesterticket einzuführen, welches 1993 an den Start ging.
Die Listen im AStA wechselten im weiteren Verlauf der 1990er häufig und änderten oft zwischen den Wahlen auch ihre Namen. 1999 bestand der AStA aus der Antirassistischen Liste / Feministische Liste (Antira), der Feministischen Liste / Querulante Tanten (FL), Kritische Naturwissenschaften (Knatsch), der Studiengangsaktiven-Liste (StugALi), der Hochschulgruppe der Anarchistischen Pogopartei Deutschlands (APPD) und der Liste Radikale Linke. Inhaltliche Verbindungen bestehen zwischen den Listen nicht und es mangelt an gemeinsamen Zielen und Vorstellungen. Es folgen mehrere Skandale und Unstimmigkeiten. 1998 klagt das Rektorat schließlich gegen den AStA auf Herausgabe der Haushaltsunterlagen – der Vorwurf der Veruntreuung großer Summen steht im Raum und der Rektor weigert sich seit mehr als 5 Jahren die Entlastung des Vorstandes zu genehmigen.
Mit dem Wechsel ins 21. Jahrhundert sank die Wahlbeteiligung auf ein historisches Tief – nur 7,1 % der Studierenden gaben im SoSe 2001 ihre Stimme ab. Die studentische Wahlkommission reagierte und beschloss eine Verlängerung der Wahl. Nach zwei weiteren Tagen haben sich immerhin 10,5% der Studierenden beteiligt – und der Weser-Kurier vermeldet „Uni-Wahlen: Mehr für linke Listen“ (WK – 05.07.2001). Anschließend stellen AfA, Knatsch und Antira gemeinsam den AStA.
Im WiSe 2003/04 erreichen die bundesweiten Bildungsproteste auch die Universität Bremen – im neoliberalen Zeitgeist wird heftig über mögliche Studiengebühren gestritten. Der AStA zögert im Umgang mit den Protesten und setzt auf Dialog mit der Politik statt Eskalation und Bildungsstreik. Aus dem Protestplenum bildet sich eine neue Liste – die Liste der StudiengangsAktiven (LiSA). Mit dem Programm „AStA der Projekte – statt AStA für Alle“ gewinnt LiSA die Wahlen im SoSe 2004 und kommt aus dem Stand auf 7 Sitze – AfA stürzt von 13 auf 5 Sitze ab. Das linksradikale Listenbündnis um LiSA und Bildung spricht hält in leicht wechselnden Konstellationen bis 2010. Es war geprägt von der Vorstellung, dass niemand repräsentativ für die Masse der Studierenden sprechen kann. Entsprechend sollte der „AStA der Projekte“ Gruppen von Studierenden die Möglichkeit geben ihre individuellen Projekte umzusetzen.
Mit den Uniwahlen 2010 löst ein rot-grünes Listenbündnis aus CampusGrün und AfA den linksradikalen AStA ab. Mit mehreren kleinen Listen, wie Hochschulpiraten (HoPi) und der Liste Die PARTEI arbeitet der AStA bis 2014 zusammen – zum Bruch kommt es über einen Austritt aus dem freien zusammenschluss von student*innenschaften e.V. (fzs). Gleichzeitig wird LiSA durch neue Bildungsproteste reanimiert – Streitpunkt zwischen Studierenden, Rektorat und Senat ist diesmal der Wissenschaftsplan 2020. Im SoSe 2014 bildet LiSA mit zahlreichen Kleinstlisten einen AStA. Unter der erneuten Überschrift „AStA der Projekte“ wird im Wesentlichen an die Politik vor 2010 angeknüpft.Bis heute arbeitet diese Koalition in wechselnder Besetzung und mit verschiedenen kleinen Listen zusammen – wichtigster Unterschied: LiSA-Aktive gründeten 2017 die Liste Kralle (Kritisch. Radikal. Antirassistisch. Links. Lästig. Emanzipatorisch) und CampusGrün änderte den Namen 2015 erst in historischer Anlehnung zu Grün-Alternative-Liste (GAL) und 2017 zu Grün-alternativ-bunte-Initiative (Gabi).